Sonntag, 2. Juni 2019

Touchrugby und Finale in Twickenham

Wir stehen mit 75.000 Menschen im Stadion von Twickenham, ein unglaublich lautes Dröhnen erschüttert die Ränge. Feuerwerfer schießen meterhohe Flammen in die Luft, plötzlich zünden mehrere Böllerschüsse und dann flippt die Menge völlig aus: Die Exeter Chiefs und die London Saracens sprinten auf den Rasen. Das Spiel beginnt, die Chiefs stürmen nach vorne, noch ist keine Minute vergangen, da durchbrechen sie die Abwehr der Saracens und legen ihren ersten Try. Zehntausend Kehlen stimmen den War Chant der Chiefs an und wir schreien mit so laut wir können - was für ein Tag...

Aber zurück zum Anfang: Nach den zwei Trainings am Mittwoch und Donnerstag haben wir uns am Freitag eine Auszeit gegönnt und uns London noch ein bisschen angeschaut. Wir haben "The Merry Wives of Windsor" im Shakespeare's Globe am Themse-Ufer gesehen und einen Abend für Gentlemen in der Brasserie Zedel verbracht (wer die Gelegenheit hat - unbedingt ausprobieren!).

Am Samstagvormittag ging es nach Tooting Bec, wo sich allwöchentlich der South London Touch Rugby Club in einem großen Park trifft. Hier wurden wir bei bestem Wetter sehr gut aufgenommen und haben kaum angekommen schon das erste Spiel bestritten. Nach einer Eingewöhnungsphase gelangen uns dann schnell die ersten geschickten Spielzüge und Offloads. 

Touchrugby-Action in Tooting Bec

Die Jungs der Wolf-Gang im Angriffsmodus
Nach drei Spielen waren wir gut fertig und dankbar, dass die Zeit gekommen war, nach Twickenham aufzubrechen: Das Finale des englischen Premiership zwischen den Exeter Chiefs und den London Saracens stand an. Schon beim Aussteigen in Twickenham konnte man erahnen, dass wir auf etwas Großes zusteuern, für die Massen an Fans werden ganze Straßen gesperrt. Nach etwa einer Viertelstunde Fußmarsch tauchte dann hinter den typisch englischen Reihenhäusern das Stadion auf - wie ein Raumschiff, dass in einer englischen Vorstadtsiedlung gelandet ist. Twickenham ist groß, wirklich groß, hier passen 80.000 Menschen rein. Die Organisation war aber vorbildlich, wir kamen problemlos durch die Einlasskontrolle und mussten diesen Moment dann erstmal festhalten.

Die Wolf-Gang vor dem Stadion in Twickenham
Auf in den dritten Rang: Mit jeder der gefühlt tausend Treppenstufen stieg die Spannung - und schließlich betraten wir durch einen dunklen, engen Aufgang die Kathedrale des englischen Rugbysports, das Stadion von Twickenham. Das Geschrei von 75.000 Menschen erfüllte die Ränge, die Stimmung war aufgekratzt aber auch entspannt und fröhlich. Es gibt hier keine Zäune um das Spielfeld, jeder darf sein Bier ins Stadion mitnehmen und auch die Fans sitzen nicht nach Blöcken getrennt sondern wild durcheinander. Doch obwohl die Saracens ja eigentlich den Heimvorteil hatten, war das Stadion fest in der Hand der Chief-Fans. Der Einmarsch der beiden Mannschaften wurde von einem ohrenbetäubenden Spektakel aus Feuersäulen, Böllern und den Rufen der Zuschauer begleitet.

Die Wolf-Gang im Innenrund von Twickenham
Das Spiel war der absolute Hammer und wurde schon am gleichen Tag von der englischen Presse zum spannendsten Finale aller Zeiten erklärt. Die Mannschaften schenkten sich nichts, spielten aber immer fair miteinander. Es gab nur zwei gelbe Karten, beide aufgrund eines deliberate knockdown. Die Chiefs hielten sich lange vorne, ihr erster Try nach nur 27 Sekunden brachte das Stadion zum Toben. Nach der erste gelben Karte in Unterzahl zogen die Saracens aber schnell nach und es entbrannte ein harter Kampf mit insgesamt zehn Tries, je fünf für jede Seite. Exeter lag zur Halbzeit noch 22 - 16 vorne, aber nach der Pause gaben die Sarries richtig Gas und konnten sich auf ihre Leistungsträger wie Owen Farrell oder Maro Itoje verlassen. In der letzten Viertelstunde dominierten die Saracens dann das Spiel zur großen Freude der Handvoll Fans in unserem Block. Schließlich gewannen sie das Finale auch verdient mit 34 - 37 Punkten.

Abschlussfeier: die Gewinner 2019 sind die London Saracens
Worauf wir nicht vorbereitet waren, war die Feierfreudigkeit der Exeter-Fans. Gerade noch verloren, stürmten sie nichtsdestotrotz die Bars des Stadions und feierten zweieinhalb Stunden ihr Team, bis der letzte Zapfhahn zugemacht wurde. Das mussten wir uns natürlich aus kulturellen Gründen unbedingt anschauen und so feierten wir tapfer mit. Ein unglaublich ausdauernder Gitarrenspieler versorgte die Menge mit allem, was man mitgrölen kann. Dazwischen immer wieder der War-Chant der Chiefs, den wir so laut wir konnten mitschrieen. Der Beer-Count wurde unbarmherzig nach oben getrieben, wir lagen uns mit wildfremden Menschen in den Armen und hatten den Spaß unseres Lebens. In den Katakomben von Twickenham sind so zu den Klängen des War-Chants und mit sehr viel Bier sechs neue Chief-Fans geboren worden. 

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel - wir trainieren wie die Profis
Über den weiteren Abend gibt es verschiedene Ansichten. Es gab etwas zu Essen, mehr Bier, sehr viele War-Chants in den Straßen von London, Rob ließ seine Mates im Stich, was von der gesamten Zugkabine mit lautem Anfeuern kommentiert wurde, wir haben die drei Franzosen aus Twickenham absurderweise in London wiedergetroffen und das Land jenseits der magischen Sieben-Pint-Grenze besucht. Wie jeder weiß, sind die Erinnerungen an Aufenthalte in diesem Land immer etwas verschwommen, weswegen wir an dieser Stelle lieber nicht spekulieren wollen, was noch alles passiert ist. 


Wer jemals die Chance hat nach Twickenham zu einem Spiel zu fahren: Machen! Es gibt nicht viele Dinge, die da mithalten können...

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